Überschuldung, Nachlassverfahren und Stundung während der Corona-Krise

Welche Erleichterungen sind für KMU vorgesehen, die sich aufgrund der Corona-Krise in finanziellen Schwierigkeiten befinden?

Am 20. April 2020 ist die Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht) in Kraft getreten. Darin hat der Bundesrat Massnahmen vorgesehen, welche eine vorübergehende Entlastung von der Pflicht zur Überschuldungsanzeige vorsieht, die in der Regel zum sofortigen Konkurs führen würde, sowie die Möglichkeit einer befristeten, unbürokratischen COVID-19-Stundung insbesondere für KMU.

Was bedeutet dies? Welche Unterschiede ergeben sich zur bisherigen Regelung?

Bisherige Bestimmungen bei Kapitalverlust und Überschuldung

Ein Kapitalverlust liegt vor, wenn die letzte Jahresbilanz zeigt, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist. Liegt ein solcher Kapitalverlust vor, hat der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung einzuberufen und dieser Sanierungsmassnahmen zu beantragen (Art. 725 Abs. 1 OR).

Eine Überschuldung liegt vor, wenn die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger nicht mehr durch die Aktiven der Gesellschaft gedeckt sind. Besteht «begründete Besorgnis einer Überschuldung» muss der Verwaltungsrat eine Zwischenbilanz erstellen und durch einen zugelassenen Revisor überprüfen lassen. Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, so hat der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten (Art. 725 Abs. 2 OR). Dieser sogenannte Rangrücktritt ändert zwar nichts am Umstand, dass die Gesellschaft überschuldet ist, entbindet aber den Verwaltungsrat von der Benachrichtigung des Richters.

Erleichterungen gemäss Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht)

Gesellschaften, welche am 31. Dezember 2019 nicht bereits überschuldet waren, müssen den Richter nicht benachrichtigen, wenn die Überschuldung nach diesem Stichtag eingetreten ist. Als überschuldet gelten auch Gesellschaften, die am Stichtag über Rangrücktritte von Gläubigern verfügten und nur deshalb nicht verpflichtet waren, das Gericht zu benachrichtigen. Denn Rangrücktritte sind keine Sanierungsmassnahmen.

Weitere Voraussetzung dafür, dass der Richter nicht benachrichtigt werden muss, ist, dass die Aussicht besteht, dass die Überschuldung bis am 31. Dezember 2020 behoben werden kann.

Dieser Entscheid ist vom Verwaltungsrat sorgfältig zu treffen und zu dokumentieren (mittels Protokolle der VR-Sitzungen, Bilanz- und Erfolgsrechnungen, Liquiditätspläne etc.). Der Entscheid muss zu einem späteren Zeitpunkt nachvollziehbar sein. Die Pflicht zur Erstellung einer Zwischenbilanz zu Fortführungs- und Veräusserungswerten besteht nach wie vor, wenn begründete Besorgnis der Überschuldung besteht. Sind die Voraussetzungen der COVID-19-Verordnung erfüllt, kann aber auf die Prüfung derselben durch eine Revisionsstelle verzichtet werden.

Anpassung des Nachlassvertragsrechts (Art. 293-332 SchKG)

In Abweichung zum Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) wurden gewisse Erleichterungen vorgesehen. So soll z.B. während der Krise auf die Voraussetzung eines provisorischen Sanierungsplans und damit auf die Prüfung der Sanierungsfähigkeit des Schuldners verzichtet werden. Die provisorische Nachlassstundung wird von vier auf sechs Monate verlängert, damit die direkte Sanierung gefördert werden kann.

Eine Nachlassstundung ist dann zu beantragen, wenn die Voraussetzungen für die COVID-19-Stundung (siehe weiter unten) nicht erfüllt sind. Zudem kann eine Nachlassstundung beantragt werden, wenn bestimmte Rechtsfolgen herbeigeführt werden sollen, welche nur die Nachlassstundung, nicht aber die COVID-19-Stundung kennt. Dies ist der Fall, wenn die Forderungen der ersten Klasse der Stundung unterstellt, Prozesse sistiert oder Dauerschuldverhältnisse aufgelöst werden sollen (Art. 297a SchKG) sowie immer dann, wenn der Abschluss eines Nachlassvertrags Ziel der Stundung bildet (vgl. Erläuterungen zur COVID-19-Stundung, abrufbar unter www.bj.admin.ch).

COVID-19-Stundung

Jedes Einzelunternehmen, jede Personengesellschaft und juristische Person kann beim Nachlassgericht eine Stundung von höchstens drei Monaten beantragen (COVID-19-Stundung), wenn das Unternehmen per 31.12.2019 nicht überschuldet war oder wenn Rangrücktritte im vollen Umfang der Überschuldung vorlagen. Die COVID-19-Stundung steht auch Kleinstunternehmen offen, die nicht im Handelsregister eingetragen sind, nicht aber Privatpersonen, Publikumsgesellschaften und grossen Unternehmen.

Der COVID-19-Stundung unterliegen sämtliche Forderungen gegen den Schuldner, die vor der Bewilligung der Stundung entstanden sind. Davon ausgenommen sind Forderungen der ersten Klasse (Lohnforderungen aus dem Arbeitsverhältnis, familienrechtliche Unterhalts- und Unterstützungsansprüche). Die gestundeten Forderungen können für die Dauer der Stundung nicht betrieben werden. Die später entstandenen Verbindlichkeiten sind aber zu bezahlen und unterliegen der Betreibung.

Der Schuldner hat mit dem Gesuch seine Vermögenslage glaubhaft darzutun und so gut wie möglich zu belegen. Die Stundung wird öffentlich bekanntgemacht und den Betreibungs-, Handelsregister- und Grundbuchämtern mitgeteilt.

Der Schuldner darf sein Geschäft weiter betreiben. Dabei darf er nicht gegen berechtigte Interessen der Gläubiger verstossen oder einzelne Gläubiger bevorzugen. Ohne Zustimmung des Gerichts darf er nicht mehr rechtsgültig sein Anlagevermögen veräussern, belasten oder verpfänden. Bei Verstössen kann der Richter einen Sachwalter einsetzen oder von Amtes wegen den Konkurs eröffnen.

Fazit

Der Bundesrat hat mit der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht gewisse Erleichterungen für Gesellschaften vorgesehen, die aufgrund der Krise in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Die Entscheidung für das Ergreifen der vorgesehenen Massnahmen muss wohl überlegt sein. Da neben der Verordnung weiterhin Bestimmungen des Obligationenrechts und des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz zu beachten sind, ist es ratsam, dass sich betroffene Unternehmen rechtlichen Rat einholen.

Gerne unterstütze ich Sie bei rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Benachrichtigung des Richters bei Überschuldung, dem Nachlassverfahren oder der Stundung.